Fahrradverleih in Berlin

October 19, 2018

Einer der Vorzüge, die das Großstadtleben mit sich bringt, ist die Möglichkeit, die urbane Infrastruktur zu nutzen. Und die verändert sich in rasender Geschwindigkeit. 2012 habe ich zum ersten Mal den Fahrradverleihdienst der Deutschen Bahn vor der TU Berlin gesehen. Seitdem hat sich einiges getan, Fahrradverleihdienste gibt es wie Sand am Meer, einige sogar schon nicht mehr. Die Idee ist revolutionär, die Möglichkeit, sich Fahrräder teilen zu können, entlastet städtische Zentren und schützt das Klima. Eine rundum feine Sache also, möchte man meinen.

ich neben einem Nextbike in winterlichem Ambiente

Nextbike

Es könnte so schön sein: Das Startup Nextbike hat im Jahr 2016 die Ausschreibung der Stadt Berlin gewonnen, Bikesharing in das städtische ÖPNV-System einzubinden. Das Konzept ist wirklich top: Man gibt die Fahrräder an Stationen an Knotenpunkten der städtischen Nahverkehrs ab, oder stellt sie irgendwo im Geschäftsgebiet von Nextbike ab für 0,50€ Aufpreis. Nextbike war der erste Bikesharing-Dienst, den ich genutzt habe. Ich war begeistert von den Fahrrädern, die mit Dreigang-Narbenschaltung, großen Laufrädern und super Größenverstellmöglichkeit aufwarten. Außerdem sind die Gepäckträger auf dem Vorderrad eine geile Konstruktion. Ist die U-Bahn ausgefallen, war es eine Option, sich auf ein Leihrad zu schwingen und die letzten Meter mit Muskelkraft zurückzulegen. Fantastische Zeiten.

Nachdem sich Nextbike diese privilegierte Infrastruktur geschaffen hat, ging es meiner Empfindung nach nur noch bergab. Die App hat sich in den zwei Jahren, die ich sie benutzt habe, nicht weiterentwickelt und läuft langsam auf meinem iPhone. Das wäre ja alles nicht weiter schlimm, auch mit einer langsamen App würde ich die Nextbikes mit Kusshand leihen.

Der Grund, warum Nextbike für mich Geschichte ist, sind die undurchsichtigen Geschäftsbedingungen. Ein Beispiel: Bei einem Besuch in Leipzig habe ich mit Freude ein Nextibke an einer Straßenecke entdeckt. Also habe ich fix das Rad geliehen und bin durch die Straßen geheizt. Das böse Erwachen kam am nächsten Tag: In Leipzig gelten andere Geschäftsbedingungen als in Berlin. Fahrräder kann man nicht irgendwo abstellen, sondern nur an Hauptstraßen. Das steht alles in der AGB, die ich vor dem ersten Leihen in Leipzig bestätigt und natürlich nicht durchgelesen habe.

In Berlin ist das Bild ähnlich, das Geschäftsgebiet ist undurchsichtig. Große Teile des Weddings gehören nicht zum Geschäftsgebiet, auch hier stehen satte Strafzahlungen an, wenn man das Rad einfach stehenlässt. Für mich ist die Nutzererfahrung mit Nextbike einfach zu inkonsistent, als dass ich den Dienst regelmäßig verwenden könnte.

Rating: 6/10

mobike

Mobikes stehen wirklich überall. Und das ist auch so ziemlich das Einzige, was für die mobikes spricht. Ohne zugehörige Stationen findet man mobikes an Straßenecken, auf Baustellenzäunen, Dixiklos und Grünstreifen. Die Reifen sind aus Hartgummi(Polyurethan), was jeden Hubbel auf Berlins Fahrradpisten 1:1 an den Fahrenden weitergibt.

Ein Reifen aus Polyurethan

Statt einer Kette kommt bei einigen Modellen eine Antriebswelle zum Einsatz, um die Pedalbewegung auf die Laufräder zu übertragen. In einem Tretzyklus ist der Widerstand, den die Pedale beim treten bieten, mal mehr, mal weniger stark, je nach Orientierung der Welle. Um das Fahrerlebnis abzurunden, ist eine Größeneinstellung für Menschen zwischen (geschätzt) 1,50m und 1,70m möglich. Über die "Scheibenbremsen" möchte ich an dieser Stelle lieber nicht sprechen. Im Resultat ist das Fahrgefühl eine mittelgroße Katastrophe.

ein Stapel mobikes am Straßenrand

Auf einem mobike bin ich gefühlt der langsamste Verkehrsteilnehmer, der die Radspur mitbenutzen darf. Dieser entschleunigende Effekt hat sicherlich etwas Gutes und regt zum nachdenken an, was man alles unternehmen kann, um nie wieder auf einem mobike sitzen zu müssen. Nur, um dann die Woche darauf wieder heilfroh zu sein, ein mobike an einer vergessenen Straßenecke zu finden, um doch noch rechtzeitig zur Bahn zu kommen.

Rating: 2/10


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By Philipp Jung, a data engineer with one foot still in academia. Follow me on mastodon.world/@pljung, or reach out on LinkedIn.