Gerade liegt mein Urlaub hinter mir. Nach etwas mehr als einer Woche Aktivurlaub in den Bergen bin ich froh, wieder einen freien Blick zum Horizont zu haben. Auf dem Weg zurück nach Berlin lege ich einen Zwischenstopp in meiner Heimatstadt Bad Kreuznach ein, um Freunde und Familie zu besuchen. Vom diesjährigen Rekordwetter motiviert, mache ich eines morgens einen Abstecher in das Salinenbad. Das Freibad befindet sich in Bad Kreuznachs berühmtem Kurgebiet und erstreckt sich auf üppigem, mit Gras bewachsenem Gelände.
Seitdem ich weggezogen bin, hat sich am Salinenbad nicht viel getan. Der Bau stammt aus den 60er Jahren und wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder renoviert. Sein Alter merkt man dem Freibad trotzdem an. Die Fenster des Kassencontainers sind mit Blechjalousien zugehängt. Es scheint, als würde deren Lackierung im trüben Morgenlicht auf der Umgebung graue Flecken hinterlassen. Ich lehne mich zum Kassenfenster herunter, das auf Bauchhöhe in der Countainerwand sitzt. "Gemosche", rufe ich hinein und stecke etwas Kleingeld hinterher. Die angelaufene Plastikverkleidung der Kasse scheint bemüht, der Farbe des gelb gefließten Fußbodens anzunehmen. "Gemoin", schallt es heraus, ein Nadeldrucker knarzt und wenige Sekunden später halte ich mein Ticket in der Hand.
Nur die Japaner sind älter als die Deutschen
Der Median der Bevölkerung in Deutschland ist der zweithöchste aller großen Industrieländer. Das bedeutet (näherungsweise), dass 50% der Deutschen jünger sind als 46,8 Jahre und 50% älter. Lediglich der Median der Bevölkerung Japans liegt mit 46,9 Jahren knapp über dem Deutschen. Wählt man einen Deutschen zufällig und soll ohne weitere Informationen zu erhalten raten, wie alt das Gegenüber ist, dann ist die beste Schätzung, die man abgeben kann, 44 Jahre. Kurz gesagt: Die Deutschen sind alt. Und das bekomme ich auch an diesem Morgen im Salinenbad mit. Dauerwellen und Badehauben treiben auf dem Chlorwasser, als ich aus der Umkleide herauskomme. Etwas später bin ich die jüngste Person im Becken. Lediglich die Bademeisterin, die sich auf einem Gartenstuhl am Beckenrand in einer Regenjacke zusammengerollt hat, ist jünger als ich.
Das ist für Bad Kreuznach leider symptomatisch. Nach dem Abitur ziehen die 20jährigen in die großen Städte der Region. Nach Frankfurt, Mainz, Saarbrücken, aber auch in südlichere Universitätsstädte wie Heidelberg, Freiburg und Tübingen sind viele meiner Altersgenossen gezogen. Die Kreuznacher Dynamik sieht vor, dass eher junge Familien und fertig Ausgebildete wieder in die Region zurückkommen.
Was bedeutet das für junge Menschen?
Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung hat das Durchschnittsalter nach Verwaltungskreisen berechnet. Eine spannende Aufschlüsselung, die einen klaren Trend zeigt: Junge Menschen zieht es generel in Städte und Metropolregionen. Vor allem im Osten der Bundesrepublik ist der Trend krass, die Autoren der Studie erwähnen, dort herrsche eine regelrechte Landflucht. Die Alten sind überall, nur in den Städten und urbanen Räumen rotten sich die jüngeren 50% zusammen.
Welche konkreten Folgen hat das für junge Menschen in Deutschland? Zunächst, dass wir zunehmend Zeit damit verbringen werden, Dienstleistungen und Waren für ältere Menschen herzustellen. Wenn die Hälfte aller potentiellen Konsumenten älter ist als 46 Jahre, wird sich die Wirtschaft dem anpassen. Wir können uns einstellen auf Medizinprodukte, barrierereduzierte Produkte und Dienstleistungen mit pflegerischem Charakter, die uns häufiger im Alltag begegnen werden.
Innenstädte als Anlageportfolio
Weiterhin wird die Anzahl der Menschen, die Rente beziehen, zunehmen. Und diese Rente muss erwirtschaftet werden, von uns, den Jungen. Jetzt ist es zumeist so, dass Arbeitstätige eher widerwillig ihr erarbeitetes Geld in Form von Steuern abgeben. Das denken sich die Alten schon seit längerem, was dazu führt, dass, wer kann, privat vorsorgt. Am Ende das Tages ist das einer der Gründe, weshalb in den Innenstädten die Preise für Immobilien explodieren. Staatliche Anlagefonds, private Fonds oder Privatpersonen holen sich ihre Rente nicht über die staatliche Rentenkasse, sondern als Miete von denen, die arbeiten.
Fraglich ist, wie lange das noch so funktioniert. In meiner Zeit in Frankreich habe ich mitbekommen, dass es für viele ältere Franzosen selbstverständlich ist, sich eine Wohnung in einer Universitätsstadt zu kaufen. Aber keinesfalls, um sie selbst zu bewohnen, sondern, um sie gewinnbringend unterzuvermieten.
Dieses Anlagemodell funktioniert nur, wenn es auch politisch getragen wird, kommt also mit erheblichen Risiken daher. In Berlin mobilisieren unterschiedlichste Gruppen gegen die steigenden Mietpreise. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Mobilisierung auf die Entscheidungsträger der Politik auswirkt. Eine wirksame Mietpreisbremse beispielsweise würde zu einer Umverteilung des Vermögens von Alten zu Jungen beitragen. Spannende Zeiten in Deutschland.